Die Geschichte einer Bibelstunde
Doch bevor ich beginne, möchte ich euch eine Einführung geben. Vor vielen Jahren habe ich einige Jahre in Ostafrika gearbeitet und mir Grundkenntnisse der somalischen Sprache angeeignet. Dann zog ich nach Deutschland, wo ich jetzt lebe. Vor etwa fünf Jahren verspürte ich einen inneren Drang, wieder in der somalischen Arbeit tätig zu werden und holte meine somalische Bibel wieder hervor. Im Jahr 2019 machte mich ein Ehepaar, das im Internet für Somalier predigt, zu ihrer Kontaktperson für Deutschland.
Die ersten Anfänge
Plötzlich stand ich in Kontakt mit etwa 20 somalischen Christen, die Nachfolge und Jüngerschaft brauchten. Im Herbst 2019 trafen wir uns alle einmal zu einer Gemeinschaftsfreizeit, was allen Beteiligten große Freude bereitete.
Eine für März 2020 geplante Freizeit wurde wegen des Corona-Lockdowns abgesagt. Zu dieser Zeit war alles geschlossen - meine Arbeit, Schulen, Integrationskurse, Lehrstellen, alles - und es schien unser "Kairos-Moment" zu sein, also begannen wir eine Online-Bibelstunde, die wir dann jeden zweiten Tag abhielten.
Nachdem wir mit Skype und Facebook angefangen hatten, haben wir schließlich Zoom benutzt.
Die Entdecker-Bibelstudium-Methode
Von Anfang an haben wir eine etwas abgewandelte "Discovery Bible Study"(Entdeckerbibelstudium)-Methode verwendet. Wir machen das so: Wir beginnen damit, dass wir einen Text zweimal vorlesen und dann die Teilnehmer bitten, die Geschichte oder den Abschnitt mit ihren eigenen Worten zu erzählen. Darauf folgen drei Fragen: "Was lehrt mich dieser Text über Gott?" "Was lehrt er mich über die Menschen?" und "Was möchte ich in meinem Leben deswegen ändern?"
Am Anfang leitete ich die Studien, sprachlich gesehen war ich aber völlig überfordert - ich sagte Dinge wie "Toller Punkt, Mohamed!", obwohl ich nicht die geringste Ahnung hatte, wovon Mohamed sprach.
Jeder kann das Treffen leiten
Bald wurde mir klar, dass jeder die Bibelstunde leiten kann. Der Leiter ist nämlich kein Lehrer, sondern eher ein Moderator, der einfach nur dafür sorgt, dass wir das Programm durchgehen und jeder zu Wort kommt. Ich übergab die Leitung dann sehr gerne an die Somalier, was ihnen die Verantwortung oder „Ownership“ für ihre eigene Bibelstunde übertrug und die Bibelstunde in die Hände einer nicht überforderten Person legte.
Dabei arbeiteten wir uns durch die Grundbausteine des Alten Testaments: die Schöpfung, das Wesen des Menschen, der Sündenfall, die Sintflut, Abraham, David und Jesaja, wobei wir den Messias nie aus den Augen verloren. Dann begannen wir mit dem Neuen Testament, indem wir die Evangelien von Markus und Johannes durchgingen. Als die Lockdowns weniger wurden, wechselten wir von jedem zweiten Tag auf zweimal pro Woche, und das Studium lief im Grunde zwei Jahre lang ununterbrochen weiter. Nur sehr selten mussten wir wegen Teilnehmermangels absagen, und wir hatten im Durchschnitt vier oder fünf Teilnehmer. Es waren gute Zeiten, Zeiten wachsender Freundschaften und wachsenden Glaubens.
Mehr als die Hälfte des Jahres 2020 hatte ich Kurzarbeit. Ich arbeitete nur zu 40 % und hatte eine Menge dringend benötigter Zeit, um die Bibelstunden vorzubereiten. Ich schrieb wortwörtlich alles auf, was ich bei der Bibelstunde sagen wollte. Sprachlich gesehen war das ein Geschenk des Himmels.
Der Vergleich zum Bau eines Krankenhauses in Afrika
Das ist also die Betrachtung von außen. Man könnte dies zu Recht als "Erfolg" bezeichnen, aber lasst mich dies in einen Kontext stellen. Es ist ein wenig wie der Bau eines Krankenhauses in Afrika. Das ist auch ein "Erfolg" und etwas, das wir Europäer sehr gut machen. Es liegt in unserer Komfortzone, und wir wissen, wie es gemacht wird. Man trommelt eine Menge Geld zusammen, baut ein Gebäude, schickt seinen Spendern Bilder des Gebäudes mit glücklichen Afrikanern in Krankenhauskleidung nach Hause, und wir fühlen uns alle gut dabei - und das zu Recht. Aber wir alle wissen, dass es sehr viel schwieriger ist, ein Krankenhaus effektiv zu betreiben, als eines zu bauen.
Die Herausforderung in der Arbeit
Eine Bibelstunde zu veranstalten ist in etwa wie der Bau eines Krankenhauses. Auch hier entwickelt man eine Struktur und stellt sie zur Verfügung. Sie ist jedoch weit entfernt von den wirklichen Bedürfnissen der Gläubigen. Im Gegensatz zu uns leben die Somalier zusammen, essen zusammen, reden zusammen: Sie existieren in einer Gemeinschaft zusammen. Wenn sie Christen werden, bleiben sie oft entweder in ihrer muslimischen Gemeinschaft, treten also auf als ein Muslim unter Muslimen und ein Christ unter Christen, was oft Gift für ihre Psyche ist, oder sie bekennen sich zum Christentum und setzen sich den hässlichsten verbalen und oft auch körperlichen Misshandlungen durch die Gemeinschaft aus, die zuvor ihre Lebensader war. Für viele von ihnen ist der Austritt aus ihrer Gemeinschaft so, als würde man ihnen ein Bein abschneiden. Es ist sehr schwer, danach ein normales Leben zu führen.
In unserer christlichen Gruppe habe ich erlebt, dass die Mitglieder versuchen, ihre tiefe Angst und ihren Schmerz zu lindern, und zwar durch Essanfälle und Rauchen bei den Jüngeren und Alkohol- und Drogenmissbrauch bei den Älteren. Sie versuchen einfach, einen Mangel zu kompensieren, den wir Westler kaum nachvollziehen können. Sie brauchen dringend etwas, damit sie sich beruhigen und schlafen können. Dies trifft besonders zu, nach der Trauma, die sie in ihrem Heimatland oder auf der Flucht erlitten.
Die Suche nach einer Lösung
Zwei Lösungen für dieses Problem wären die örtliche Kirche und die somalische christliche Gemeinschaft. Wenn es allen klar ist, dass sie zur örtlichen Kirche gehen, werden sie von anderen Somaliern viel stärker verfolgt, und vielen von ihnen ist der Umgang mit Europäern eher eine Quelle von Stress als von Trost. Da sie so wenig sind und weit voneinander leben, können sie nur bei Freizeiten und Zusammenkünften von Präsenzgemeinschaft haben. Die digitale "Gemeinschaft" entspricht bei weitem nicht dem, was viele von ihnen brauchen.
Was ist also die Lösung? Ich selbst habe keine schnelle Antwort. Es sieht alles nach einer unmöglichen Situation aus.
Als ich darüber nachdachte, musste ich an die Israeliten zur Zeit Samuels denken: "Damals gab es in ganz Israel keinen Schmied, denn die Philister wollten verhindern, dass die Hebräer sich Schwerter oder Speere machten. … So kam es, dass am Tag des Kampfes keiner von den Männern Israels, die Saul und Jonathan folgten, ein Schwert oder einen Speer hatte. Nur Saul und sein Sohn besaßen welche. (1. Sam 13,19 & 22)
Wenn Gott unmögliches möglich macht
Das ist, was jeder vernünftige Mensch eine "unmögliche" Situation nennen würde. Der Wendepunkt der jüdischen Geschichte kam in dieser dunklen Zeit, an einem Tag, an dem Jonathan sagte: "Komm, wir gehen zum Posten dieser Unbeschnittenen dort drüben. Vielleicht wird Jahwe etwas für uns tun, denn für ihn spielt es keine Rolle, ob wir viele oder wenige sind."
Daraufhin antwortete sein Waffenträger: "Tu, was du für richtig hältst", erwiderte sein Waffenträger, "ich bin immer dabei!" (1. Sam 14,7)
Ob bei der Teilung des Schilfmeeres oder bei Gideons Sieg über die Midianiter, wir sehen immer wieder das gleiche Muster: auf eine unmögliche Situation folgt ein großer Sieg.
In unserer Bibelstunde gehen wir gerade das Al-Massira-Programm durch, und es wird viel Wert auf Sarahs Unfruchtbarkeit gelegt, gefolgt von der Unfruchtbarkeit sowohl von Rebekka als auch von Rahel. Gott gibt sich große Mühe, Dinge unbestreitbar unmöglich zu machen, und dann handelt er.
Deshalb bin ich zwar zum Teil ratlos, aber doch nicht verzweifelt. Gott allein weiß, wie seine Lösung aussehen wird.
Jesus sagte: " Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen." (Johannes 8,32).
Ich habe gesehen, wie die Wahrheit tief in die Herzen einiger Somalier eingedrungen ist, und ich habe auch gesehen, wie sie befreit wurden. Gelobt sei Gott! Möge er dies auch weiterhin tun und seine Kirche unter den Somaliern errichten - wie auch immer er es will.